Wer dachte, die Tour Du Lac in Genf sei der längste Rudermarathon, hat offenbar noch nichts von dem holländischen 11 Steden Roeimarathon gehört. Ins Verständliche überführt geht es um einen Rudermarathon, bei dem man im 2x+ 11 friesische Städte durchrudert. Das ganze versteht sich, man ahnt es schon, am Stück und ohne Unterbrechung über 208 km auf angeblich stehendem Gewässer. Warum angeblich? Dazu später mehr.
Doch wer tut sich sowas freiwillig an, mag man sich fragen? Stefan, Michi und Markus nebst rund 1000 weiteren Teilnehmern. 109 unterschiedlichst aufgerüstete 2x+ gingen an den Start. Viele davon mit einer 12er Staffelmannschaft, wenige in einer 6er Staffelmannschaft und nur 6 völlig verrückte Integralteams mit nur 3 Leuten die durchrudern mussten. Eines davon waren wir. An unserer Seite Katrin und Susanne, die insbesondere tagsüber unsere Nachschublinie sicherten. Nicht zu vergessen ist natürlich die zentrale Figur, ohne die das Ganze gar nicht möglich gewesen wäre, die Leipzig. Ihres Zeichens ein 3x-/2x+ der Neuwieder Rudergesellschaft, stand sie uns bis an die Zähne aufgerüstet zur Verfügung.
Dazu war freilich umfangreiche Vorarbeit zu leisten, welche bereits zwei Wochen vor der Regatta mit dem Bootstransport am Biggesee vorbei nach Kleve begann. In Kleve angekommen befand sich die Leipzig in der Obhut von Stefan, der ihr mit seiner Erfahrung im Bootstuning in wohl tagelanger Feinarbeit das neue Aussehen verpasste. Kurzum, aus dem fast handelsüblichen C-Liner wurde so ein aalglattes, gepanzertes Lichtschwert vom Feinsten! Wer sich fragt, worauf diese seltsamen Adjektive anspielen, stelle sich Folgendes vor. Eine spezielle Nanopolitur auf der Bootshaut, welche sonst nur im Speedboat-Bereich zum Einsatz kommt, veredelte die Außenhaut unseres Bootes in einem Maße, dass selbst ein schmutziges Handtuch wie ein heißes Stück Butter in einer Teflonpfanne dahinglitt. Die Panzerung bildeten zwei Stahlseile, welche im Bug über die Kielschiene, an der Seite über die Auslegerenden und am Heck über die Verankerung des Steuers abgefangen waren. Selbst Fast-Frontalzusammenstöße mit Pollern, welche einem sonst die Ausleger vom Boot reißen würden, sind so kein Problem mehr. Auf den Fotos, die uns Stefan von der installierten Beleuchtung schickte, wurde klar, die Lichtleistung war so hoch, dass sich die Dioden wie ein Lichtschwert in den Sensor der Kamera geschnitten hatten, sodass sich selbst die taghelle Umgebung auf dem Bild schwarz färbte. Die Regattanacht konnte kommen!
Donnerstag in der Früh starteten wir Richtung Holland, schließlich brauchten wir noch Zeit um eine Testfahrt mit unserer Leipzig zu machen und, fast noch wichtiger, um unseren Landdienst mit holländischen Pannekoeken zu bestechen! Eine Bestechung mit Pannekoeken war schließlich Katrins Bedingung, damit sie bereit war, sich dem erst einmal fragwürdig anmutenden Vergnügen hinzugeben, auf einem sumpfigen Stück Wiese in einem ungemütlichen Zelt zu übernachten. Das alles nur, um frisch gestärkt Dixiklos oder Toilettenwagen in Angriff zu nehmen und als Belohnung für elend lange Autofahrten von Stadt zu Stadt sehen zu dürfen, wie sich ihr geliebter Freund fast krankenhausreif schindet.
Wer bei dieser vorangegangenen Beschreibung unseren Landdienst bedauert oder uns für verrückt erklärt, möge die folgenden Zeilen lesen und hoffentlich über die vorangegangene Ironie schmunzeln. Tatsächlich sahen wir einem verlängerten Wochenende voller Sonne, guter Stimmung und Entspannung auf einer malerischen Insel am Südende von Leeuwarden entgegen, welches als Nervenkitzel noch einen Wettkampf zu bieten hatte, der seinesgleichen sucht.
Auf der Insel häuslich eingerichtet blieb genug Zeit, entspannt den hinter unserem Zelt herlaufenden Bachlauf nebst kleinem Wehr mit darüber plätscherndem Wasser zu genießen und ein paar kindliche Pläne zu schmieden. Wer wollte nicht schon einmal einen Bachlauf umleiten? Was bei mir erst nur Gedanken waren, setzte Stefan geradewegs um. Schnell war ein kleiner Graben über einen Trampelpfad gezogen und schon floss das Wasser munter über den Trampelpfad und bildete einen Teich im Wald. Nicht wirklich überraschend suchte sich das Wasser später neue Wege aus dem Teich und schuf ganz von selbst einen neuen kleinen Wasserlauf. Renaturierungsmaßnahmen made by Verhoeven & Co.
Aber nun zu dem, wozu wir eigentlich nach Holland gekommen waren. Dem 11 Steden Rudermarathon. Die Stimmung war sehr gut und doch angespannt. Werden wir es schaffen, diese Strecke zu absolvieren? Wie kalt wird es in der Nacht? Tiefsttemperaturen bis zu 5°C waren gemeldet. Werden wir die Streckenführung auch in der Dunkelheit finden? Demonstrativ gelassen ließen wir unser Boot als eine der letzten Mannschaften zu Wasser um mitten durch Leeuwarden die knapp 6 km zum Start zu rudern. Wo mancher Feierabendruderer nun drehen würde und zurück zum Bootshaus fährt, um sein kühles Bier zu genießen, ging es für uns erst richtig los. Genau um 20:21:05 Uhr wurden wir an 73. Stelle gestartet. Unmittelbar vor uns die drei selbsternannten Elfen. Ohne Frage eine Anspielung auf die elf anzufahrenden Städte, aber auch auf die beachtliche Tatsache, dass hier eine Frauenmannschaft diese Regatta in der Bullenklasse anging. Dicht hinter uns die Mannschaft „Quo Vadis?“, zweifellos unser mit Abstand härtester Konkurrent, gefolgt von Uli mit seinen Freunden aus Oldenburg.
Bereits wenige Kilometer hinter Leeuwarden zeigte sich, „Quo Vadis“ ist nicht zu halten und geht in Führung. Temporär hätten wir sicher gegenhalten können, worauf wir allerdings verzichteten, schätzten wir doch das Risiko, im späteren Rennverlauf in Folge dessen einen Einbruch zu erleiden, als zu groß ein. Alle anderen Boote im Feld der Bullenklasse schienen wir dagegen unter Kontrolle zu haben. Mit einem herrlich rhythmischen Rudergefühl zogen wir an den beiden vor uns gestarteten Bullen und Kühen – der Kommentar sei hier gestattet, da es sich bekanntlich bei dem einen Boot um eine Frauenmannschaft handelte – vorbei und verloren dabei die anderen hinter uns gestarteten Mannschaften außer Sicht. Bereits am ersten Stempelpunkt schien die Situation weitgehend geklärt. Wie erwartet führte „Quo Vadis?“ das Bullenfeld mit bereits 4 min Vorsprung an, gefolgt von uns mit weiteren 3 min Vorsprung auf den Rest des Feldes. Hier zeigte sich erstmals, dass Stefans Zeitschätzungen vielleicht doch nicht zu optimistisch gewesen waren. Bei der Planung kalkulierte er mit den Zwischenzeiten der KCfW Mannschaft, die seiner Zeit den Streckenrekord für das 11 Steden Event aufgesetzt hatte. Trotz unseres Rückstandes auf den Ersten lagen wir vor dem Zeitrekord.
Als wäre das nicht Ansporn genug, wurden wir zusätzlich angetrieben durch das massive Wummern der Riesenparty in Dokkum. Zu Schade, dass weder Michi noch ich einen direkten Blick auf die Szenerie erhaschen konnten, die sich Stefan auf dem Steuersitz bot. Eine Bühne, die über das Wasser gebaut war mit einer Band, die immer wieder von Lichtblitzen und Feuerfontänen umrissen wurde, ließen in Kombination mit der gewaltigen Lautstärke das Blut in den Adern gefrieren. Ohne Frage galt es sich hier zusammenzureißen und nicht dem Begehren nachzugeben, unter all dem Adrenalin einen Sprint anzureißen, der uns wertvolle Kraft kosten würde.
Nachdem die nervenaufreibende Zeit mit Gegenverkehr unter engen Brücken in der einbrechenden Dunkelheit vorüber ging, liefen wir mit vollen Zügen auf Leeuwarden zu. Selbst Staffelboote, deren Mannschaften nur 6 km Etappen zu absolvieren hatten, konnten wir kassieren. Sogar in Situationen, in denen sich die Gegner in Sicherheit wogen, konnten wir zeigen aus welchem Karbon unser Boot geformt war. Blockierte doch vor Leeuwarden ein vorfahrendes Staffelboot die scheinbare Ideallinie, konterten wir durch den kleinen Innenbogen der Brücke um gleich darauf das Boot im Drift, die kommende 90° Kurve mit einseitig langen Skulls hart anschneidend, um die Kurve zu werfen, während unsere Konkurrenten verdutzt das Ufer näher kommen sahen, sodass sie schließlich stoppen und wenden mussten, um die drohende Kollision mit dem Ufer noch verhindern zu können.
Als wäre das nicht schon Nervenkitzel genug zog immer dichter werdender Nebel in die Kanäle ein, der die Sichtweite auf wenige Meter beschränkte und uns ein fragwürdiges Szenario bot. Durch unser leuchtstarkes Rundumlicht, welches den Nebel erhellte, war unsere Nummer eins von einer Aura von gleißend hellem Licht umgeben. Auch wenn der Rhythmus im Boot zumeist der Beschreibung himmlisch gerecht wurde, wäre die Annahme wir sähen einen Heiligenschein mehr als vermessen gewesen. Jeder von uns ging diese Nebelherausforderung anders an. Während Stefan dieser mit viel Erfahrung und scharfem Blick begegnete, orientierte sich Michi hauptsächlich am GPS (Ist unser Punkt auch wirklich auf der blauen Fläche, welche den Kanal symbolisiert?) und ich versuchte mein Glück mittels Peilung über die zeitweise erahnbare Uferböschung. Dass dies alles nicht das Gelbe vom Ei war, zeigte sich später an einer Fischreuse. Da Stefan noch zu berichten wusste, dass demnächst eine Fischreuse auf Steuerbord gelegen ist, korrigierte ich den Kurs deutlich nach Backbord und überprüfte nochmal den Abstand zum Ufer. Kaum grobe 30 m Uferabstand geschätzt, nahm ich im Augenwinkel eine plötzliche Verdunklung in Michis heller Aura im Bug wahr. Reflexartige Kommandos „Ruder halt!“, „Backbord lang!“, „Steuerbord stoppen, stoppt!“ und ein Steuereinschlag auf hart Steuerbord folgten blitzartig. Ein schwerer Zusammenstoß mit eventuellen Verletzungen und ggf. schwerem Bootsschaden konnte so noch verhindert werden. Durch die verbleibende Drift des Bootes touchierten wir den Begrenzungspfosten der Reuse nur mäßig mit der Stahlseilabspannung an den Auslegern. Dank der sehr guten Abspannung von Stefan und der hellwachen Reaktion der Mannschaft ging diese Begegnung glimpflich aus. Was dem uns folgenden Boot passiert ist, welches trotz unserer lautstarken Warnungen voll rudernd mittig in die Fischreuse gedonnert ist, wissen wir nicht. Vermutlich werden sie dem Fischer den nächsten Morgen mächtig verhagelt haben.
Unmittelbar vor diesem Beinahe-Drama wurde aber nochmal Steuerkunst abgefragt. Die Stadtdurchfahrt in Sneek war gespickt mit niedrigen Brücken, engen Kanälen und schönen 90° Abzweigen. Mit Michi an den Steuerseilen drifteten wir förmlich um die Ecken. Den Oberkörper längs in Auslage gestreckt und nur mit Armen und Beinen rudernd übten wir uns im Tieffliegen unter den niedrigen Brücken. Dieser Einsatz zahlte sich aus. Gleich mehrere Staffelboote konnten wir kassieren und außer Sichtweite bringen.
Knappe zwei Stunden später näherten wir uns Sloten, wo wir das erste mal wieder Sichtkontakt zu unserem härtesten Konkurrenten „Quo Vadis?“ aufnehmen konnten. Ein paar respektvolle Grüße und Glückwünsche für den weiteren Regattaverlauf ausgetauscht, gingen wir die Umrundung des kleinen Inselstädtchens an. Knappe 15 min Vorsprung hatte unser Konkurrent bereits auf uns, und das obwohl wir selbst schon mehr als 15 min vor dem bis dahin gültigen Rekord lagen. Eine harte Nuss also. Vielleicht aber würde uns unser Plan für die anstehende Spezialetappe den notwendigen Vorteil verschaffen um in Schlagdistanz zu kommen. Zu meistern war ein mehrere Kilometer langer Kanal durch den Wald, der gerade so schmal war, dass man mit der üblichen Skulleinstellung selbst bei perfektem Steuern nicht rudern kann. Unser Technikguru Stefan hatte aber auch dafür eine fixe Idee auf Lager. Während wir dem Landdienst der Staffelmannschaft des ARC Rhenus unsere Stempelkarte mit dem Auftrag den Stempel einzuholen in Sloten gaben, baute Stefan schnell einen Satz kurze Alpha Concept Fatblades Skulls ein. Michi und ich nutzten die Zeit und nahmen derweil die nahegelegenen italienischen Bodentoiletten in Angriff. In der Hektik sich nur mäßig darüber wundernd, warum es in Holland italienische Bodentoiletten gab, dämmerte uns das Problem als es ums Spülen ging. Naja, immer noch besser als die bedauernswerte Strandumkleide in Rivaz. So entleert und ausgerüstet konnte nichts mehr schiefgehen. Stempelkarte rein und los ging’s.
Obgleich der ARC Rhenus mit unserer Karte unterwegs gewesen war, rief man uns wenige Meter später in holländisch „ztembele, ztembele“ zu, worauf wir selbstsicher die Karte hochhielten und mit einem „Haben wir schon!“ weiter fuhren. Da mich dennoch Zweifel umtrieben, betrachtete ich die Karte und konnte auch mit viel Phantasie keinen Sloten-Stempel ausmachen. Offenbar hatte der ARC die Karte nur zur Seite gelegt, nicht aber den Stempel eingeholt. Obgleich dies die Disqualifizierung hätte bedeuten können, rief Stefan „Wir drehen nicht um! Weiter!“. Ohne Diskussionen ging es mit Druck weiter, wir waren entschlossen! Da kam uns der merkwürdige Geselle mit seiner Staffelmannschaft gerade recht. In Sloten eine frische Mannschaft aufgenommen, steuerte er das Boot auf Backbord auf unserer Höhe und brüllte seine Mannschaft bei jedem Schlag mit irgendetwas an, dass wie „Busch! Wäää!, Busch! Wäää!“ klang ohne dabei zum Takt zu passen. Statt dem richtigen Kurs nach 90° Backbord zur nächsten Stadt am See zu folgen, fuhr er geradewegs in die herankommenden anderen Boote rein und blökte uns mit unverständlichem Zeugs an, weil wir ihn versuchten nach Backbord auf den rechten Kurs zu bringen. Um keinen Bootsschaden wegen dieses Sturkopfs zu riskieren, bauten Michi und Stefan ordentlich Druck auf und überholten das Staffelboot. Unbeirrt und zeternd fuhren die anderen weiter ihren Kurs. Erst gute 200 m später verstanden sie ihren Fehler und kamen uns hinterher. Zu spät um uns noch vor dem beschriebenen engen Kanal zu überholen. Freie Fahrt mit kurzen Skulls, sehr gut!
Als wir uns Stavoren näherten, bemerkten wir eine leichte landauswärts gehende Strömung. Offenbar war gerade Ebbe und Holland wurde von den Wassermengen der starken Niederschläge der vorangegangenen Woche befreit. Kein gutes Zeichen, denn nach Stavoren mussten wir entlang der Küste durch den Entwässerungskanal gegen diese Strömung und den stärker werdenden Wind anrudern. Doch der Mut verließ uns nicht, schließlich lagen wir in Stavoren bereits 35 min vor dem Rekord. Wir waren also mächtig gut unterwegs, auch wenn unser Konkurrent einen soliden Vorsprung hatte.
Was sich schon zuvor langsam angekündigt hatte, wurde auf dem Weg nach Hindeloopen immer deutlicher, Knieprobleme bei mir. Während das Problem beim Rudern leicht abnahm, wurde es nach den Steuerpausen ungleich stärker. Ordentlich Zeit sollten uns aber noch einige Segler bei der Einfahrt in Workum kosten. Als wir uns an dem Motorbootstau vorbei schoben, offenbarte sich das Problem an einer Brücke, die fast hochgeklappt war. Ein schwerer Seglerpott blockierte auf der anderen Seite die Weiterfahrt. Wie Stefan meinte, hätte man bestenfalls mit viel Mut und noch mehr Vaterlandsliebe mittels Kamikazeaktion durch die Brücke fahren können in der Hoffnung, noch vor dem herannahenden Bug des Großseglers gerade so aus der Engstelle zu sein, um nicht zerquetscht zu werden. Da nicht einsehbar war, ob auf der anderen Seite der Brücke genügend Platz für unser Boot war, steckten wir zurück. Viele Minuten verstrichen ungenutzt bis auch die ganzen anderen Segler, die sich hinter dem Großsegler gestaut hatten, durch waren und wir endlich weiter konnten.
An der Stempelstelle in Workum angekommen, hatten wir das erste mal wieder Kontakt zu unserem Landdienst. Vorräte rein, ermutigende Grüße von unseren Liebsten, Leeres raus, für die beiden Gehandicapten kurzes Austreten und weiter. Obgleich sich das fast so hektisch anfühlte wie es sich ließt, mussten wir feststellen, dass diese Materialübergaben einige Zeit in Anspruch nahmen, und dass obwohl zuvor eine fast generalstabsmäßige Planung durchgeführt worden war. Jedes Objekt hatte seinen eigenen Platz in Stefans Versorgungsauto, damit unsere guten Seelen wussten, wo was zu finden war und auf alle Eventualitäten schnell reagieren konnten. Wenig hilfreich bei den Bestrebungen den Zeitverlust zu reduzieren waren hier sicherlich auch das Austreten von Michi und mir, eine Baustelle an der es zu arbeiten gilt!
Obgleich das kurze Austreten meinen Knien half, spitzte sich das Problem zu. Bemühungen, das Problem mit Massage in den Steuerpausen zu beheben, schlugen fehl. Es blieb nur eins, nahezu fester Sitz und die Hoffnung, dass der Rücken mitspielt. Knapp 60 km waren so noch zu absolvieren. Schon beinahe erschreckend war, dass weder dieser Umstand noch der Segler, der uns aufgehalten hatte, es schafften unsere Laune zu dämpfen. Glücklicherweise konnten wir uns gut auf die veränderte Situation durch mein Problem einstellen. Nach kurzer Zeit lief das Boot trotz dieser eigentlich ungleichen Bewegung sauber, forderte aber ein hohes Maß an Konzentration von der Mannschaft. Ein Segen war hier ohne Frage mein langer Oberkörper, der selbst mit minimaler Rollbewegung eine akzeptable Auslage erlaubte. Wie das allerdings von außen betrachtet aussah, will man sich lieber nicht vorstellen.
In der Zwischenzeit hatte der Gegenwind und die Gegenströmung unseren Vorsprung auf den Rekord gänzlich aufgefressen, sodass wir sogar ein paar Minuten zurücklagen. Erstmals klang Stefans Analyse der Situation verhalten pessimistisch. „Den Rekord können wir abhaken, ich weiß mit welchem Schlusssprint dieser aufgestellt worden ist!“ Dennoch wollte das keiner unserer Mannschaft so richtig wahr haben. Spätestens als Michi sich seiner Brille entledigte und diese am Stemmbrett verankerte, damit diese ihm nicht im vom Gesicht rinnenden Schweiß ertrank, war klar, wir griffen zum Äußersten, alle Warnsignale der in den Knochen steckenden Erschöpfung ignorierend. Die Atmung in einer Frequenz, die es nicht mehr erlaubt sich zu artikulieren rissen wir die letzten 17 km ab. Beflügelt durch vereinzelte Staffelboote, die wir selbst jetzt noch überholen konnten, trug uns die Leipzig immer näher ans Ziel heran. Aus taktischen und nicht zuletzt optischen Gründen beschlossen wir, Michis letzte Steuerpause auszusetzen und mich ins Ziel steuern zu lassen. Es wäre dem Abschluss einer solch fabulösen Tour einfach nicht würdig gewesen, mit einer derart gehandicapten Technik ins Ziel zu fahren. Somit galt es für mich schon eine Etappe früher den Schlusssprint zu fahren. Immer wieder angestachelt durch die von Stefan genannten Zwischenzeiten, die erkennen ließen, der Abstand vom Rekord schmolz um Minute für Minute. Wenn der Sieg schon nicht mehr drin war, der Rekord rückte in greifbare Nähe. Um nicht beim Wechsel auf den Steuerplatz einem Kreislaufeinbruch zum Opfer zu fallen, gab es von Michi noch einen kräftigen Schlag auf dem Rücken, um mit ein wenig Adrenalin zu kontern und schon waren Stefan und Michi an den Skulls und liefen wie Turbolader auf immer höheren Touren. Gleich mehrere Boote fielen dieser geballten Power zum Opfer. Selbst auf der Zielgeraden kassierten wir noch ein Boot. Jeden Schlag mit einem kräftigen „HOOoouuu“ von mir angefeuert, zimmerten Stefan und Michi mit einem 32er Schlag beängstigende Quallen ins Wasser. Wer nun den Gedanken hegt, ein 32er Schlag nach einer solchen geruderten Distanz müsse nach Chaos aussehen, sei der Kommentar unseres verdient vor uns angekommenen Konkurrenten „Quo Vadis?“ genannt: „Das ist schon fast beängstigend, wenn man Euch so rudern sieht!“ Die schnelle Bilderserie unseres Zieleinlaufs von Katrin offenbarte, dieser Kommentar war nicht ansatzweise negativ gemeint. Wir waren uns einig, auch wenn wir den alten Rekord mit 20:52 Stunden um wenige Sekunden verfehlt hatten, ein würdiger Abschluss für eine solch fantastische Regatta wie dieser 11 Steden Roeimarathon!
Nach der respektvollen Gratulation an „Quo Vadis?“ und ein wenig fachsimpeln über das absolvierte Rennen folgte der übliche Regattanachklang. Zuerst, das war Ehrensache, galt es die Leipzig von ihrer Rüstung zu befreien. Hier wurde nochmal das ganze Ausmaß der Arbeit deutlich, die Stefan in dieses Boot gesteckt hatte. Nach einer gemütlichen Dusche und einem üppigen Mahl ging es langsam zu Bett. Hierbei bezog sich das langsam weniger auf die Uhrzeit, sondern mehr auf unsere eingeschränkte Beweglichkeit. Es zeigte sich ein weiteres Mal der Gehalt im Spruch eines Ruderkameraden: „Für sowas muss man kerngesund und knallverrückt sein!“. Versuchte sich einer über das Gestöhne beim Hinlegen des anderen zu amüsieren, verstummte die Häme sofort mit einem verzerrten „Arrgh!“, weil selbst das Lachen nicht mehr ohne Komplikationen möglich war.
Hätten unsere Essgebaren während der Regatta jede Weight Watchers Beraterin wohl vor Verzweiflung weinend in die Knie gezwungen, wäre sie vermutlich am kommenden Morgen der spontanen Selbstentzündung zum Opfern gefallen. Die Kombination aus Massen an Pizza, Brot, Nutella und dem unheimlich wohlschmeckenden aber gewaltigen Regattakuchen, der uns überreicht worden war, trieben Stefan vor Lachen die Tränen in die Augen, als ich dies noch mit zweidaumendicken Käse-‚Scheiben‘ krönte. So amüsiert und glücklich gingen wir nach kurzem Verstauen aller Sachen in Anhänger und Autos bei bestem Wetter auf die Heimfahrt mit Zwischenstopp in Kleve. Selbst die mit der Koordination Ihrer Fahrzeuge scheinbar überforderten Sonntagsfahrer, die alles daran setzen, uns die Tankstelle für die Einfahrt mit Anhänger zu blockieren, konnten uns nicht die Laune verderben. So quittierten wir die Tatsache, dass die Tankstelle vor Kleve alle Dieselzapfsäulen entweder abgeschaltet oder abgebaut hatte, nur grinsend mit einem Achselzucken.
Auf dem weiteren Fahrt zeigte sich, dass unsere Leipzig nicht nur Leichtlaufqualitäten zu Wasser, sondern auch zu Land ausweisen konnte. 5,1L Durchschnittsverbrauch mit Anhänger und Boot! Hut ab an die NRG für die Unterstützung mit so hervorragendem Material! Auf dass wir Neuwied mal wieder würdig vertreten haben.
Gez. Markus Müller, 14.07.2014